Speech by curator Hartwig Knack for the opening of Marlene Haring's solo show at Kunsthalle Krems, 2009
Marlene Haring: In die Ecke laß ich mich nicht drängen
Sie werden heute in den Genuss von zwei Installationen Marlene Harings kommen. Zum einen die Video-Sound-Installation in der Factory, zum anderen eine Intervention im Foyer der Kunsthalle Krems. Marlene Haring hat ihre Arbeit entwickelt gemäß des Konzepts der Factory, welches im besten Fall eine ortspezifische Arbeit vorsieht, eine Arbeit, die unmittelbar auf den Raum zugeschnitten ist, mit dem Raum und den architektonischen Gegebenheiten umgeht. Dies ist perfekt gelungen.
Das Besondere an Marlene Harings Videoinstallationen ist, dass die Künstlerin alle Formalismen hinsichtlich der Präsentation von Video über Bord wirft. Das heißt: Nichts liegt Marlene ferner, als mit ihrer Arbeit Erwartungshaltungen des Kunstmarktes oder des Publikums zu erfüllen. In diesem Kontext hat sie vor ein paar Tagen von „vorauseilendem Gehorsam“ gesprochen. Dezidiert lehnt sie Selbstverständlichkeiten und typische Normierungen des Kunstbetriebs ab. Was heißt in diesem Zusammenhang „typische Normierung“? Als typische Normierung könnte etwa eine konventionelle Videoprojektion auf einer Ausstellungswand hergenommen werden. Große, klare, scharfgestellte, im rechten Winkel zum Boden und zur Decke ausgerichtete Projektionen. Eine solch „geordnete Behübschung“ oder „Tapezierung der Wände“, signalisiere Unterwürfigkeit, so Marlene Haring. Und zwar eine Unterwürfigkeit gegenüber den herrschenden Marktmechanismen und damit zusammenhängenden Machtstrukturen. Durch ihre chaotische bzw. informelle Anordnung der unterschiedlichen Bild- und Audioquellen hier in der Factory konterkariert sie ganz bewusst und generell Strategien des Kunstbetriebs. Ihr geht es darum, „Video als Material“ zu verwenden und nicht als „Wandbespielung“.
Abgesehen von einem Video, das filmische Selbstporträt mit der Träne, hat Marlene Haring Material der letzen 11 Jahre für die Installation gesichtet und aufbereitet. Zu sehen sind Sequenzen von ihren Aufenthalten in den USA: Der Nachthimmel von Los Angeles, Momentaufnahmen aus Washington D.C. und Las Vegas, aber auch bruchstückhafte Szenen aus ihrem Elternhaus in Wien
All diese kurzen Sequenzen, die bis auf wenige Ausnahmen in einem vorwärts-rückwärts-Loop laufen, stehen als Platzhalter, als Repräsentanten für gewisse Gesten. Wir haben es hier zu tun mit zeichenhaften Bewegungen, die gebetsmühlenartig immer dieselben Handlungsfragmente rekapitulieren, unterstützt von originalen, den Videos zugehörigen Tonquellen, die Marlene ebenfalls als Gesten verstanden wissen will. Das Durchdeklinieren vielgestaltiger Gesten reicht von existentialistischen Handlungen bis hin zu einer Ton- und Bildsprache, die in ihrer Verspieltheit vielleicht erst einmal nur witzig erscheint. Eine ziemliche Bandbreite also, mit der wir es hier zu tun haben.
Worum geht es Marlene Haring in ihrer Arbeit? Ein riesiger, in der Dunkelheit von unten beleuchteter Springbrunnen vor einem Hotel in Las Vegas. Man denkt sich zuerst:: Sehr beeindruckend, Dramatik, Pathos. Untermalt ist die kurze Filmsequenz mit Textbruchstücken der US-amerikanischen Nationalhymne. Das Ganze wird für Touristen in Las Vegas tatsächlich so inszeniert und soll natürlich von der Größe des amerikanischen Kontinents, von Freiheit, von Cowboys und Wildpferden, vom American Dream erzählen. Durch ein längeres Anschauen dieses Loops jedoch kippt das Szenario dann irgendwann. Die beeindruckende Kulisse mit der opulenten Beleuchtung, den gigantischen Wasserfontänen und der Hotelarchitektur im Hintergrund beginnt plötzlich eine ganz andere Dimension anzunehmen: Jetzt stehen Dinge wie Demonstration von Macht und Gewalt, Patriotismus oder Nationalismus im Raum. Solche oder ähnliche Assoziationen stellen sich wie von selbst ein. Man beginnt, hinter die Fassade zu blicken und genau das ist Marlene Harings Anliegen. Sie tut dies aber nicht ohne Augenzwinkern. Den massiven Turm des Hotelgebäudes, der sich in der Loop-Animation immer begehrlich hinauf und wieder hinunter bewegt, um dann erneut zu wachsen, projiziert Marlene Haring genau auf einen Wandpfeiler des Ausstellungsraums, um die von den Regisseuren der Wasserspiele inszenierte machtvolle Potenz einerseits zu akzentuieren, andererseits aber auch im selben Moment zu persiflieren. Um noch eins draufzusetzen, lässt die Künstlerin durch filmische Überblendung eine Mondsichel über der Kuppel des Hotelturms und vor dem Nachthimmel Las Vegas’ aufsteigen. Malerisch geradezu. Und mittendrin positioniert sich Marlene Haring im Selbstporträt naserümpfend auf dem Fußboden liegend.
Im Vordergrund Marlene Harings Kunst steht aber nicht nur das Vergnügen am Ungewöhnlichen, die diebische Freude am Durchbrechen und Ausloten von Normen und Grenzen. Ihr geht es nicht nur um eine spielerische, humorvolle Verfremdung des Alltäglichen, des Vertrauten und Normalen, sondern sie sieht als Künstlerin selbstverständlich auch eine inhaltliche Notwendigkeit darin, überkommene Konventionen oder Verhaltensmuster, politische Strukturen und soziale Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen und aufzubrechen. Marlene Haring kommentiert ungeschönt und ehrlich das, was sie betrifft und betroffen macht. Sie bezieht lautstark Position. Und dass sie sich mittels einer Reihe von Selbstporträts unmittelbar in das Chaos ihrer Installation einfügt und nicht nur von Außen die Dinge kommentiert zeigt, dass sie sich als Teil dieses komlexen Systems sieht. Was Marlene Haring tut, ist Folgendes: Sie fragmentiert Vorhandenes, fügt durch geschickte Kombination die Einzelteile neu zusammen und gelangt so zu Erkenntnissen, die sie über ihre Kunst dann auch in der Lage ist, klar und deutlich zu vermitteln.
Dies gilt gleichermaßen für ihre Installation im Foyer der Kunsthalle Krems: Die edle, schicke Lederbank des Kunsthallenfoyers hat Haare bekommen, sie ist buschig, haarig. Die Künstlerin hat der Bank ein Kleid aus Hanf – das Installateure üblicherweise zum abdichten von Schraubverbindungen und Wasserleitungen verwenden – verpasst. Ein Material, mit dem Marlene Haring schon seit Jahren arbeitet. Auch Deckenleuchten sind mit Hanf überzogen, die nun an von innen beleuchtete Schrumpfköpfe erinnern. Ein Porträtfoto der Künstlerin mit herabgelassenem Haar ist ganz zentral über der Bank positioniert. Die Installation erzählt von Stereotypen, von Weiblichkeit und Männlichkeit, von Geschlechterbildern, von Macht, Gewalt und aber auch von Aufbegehren dagegen, von Auflehnung und Anpassungsverweigerung.
Es scheint, als sei die Bank durch die “Behanfung“ subversiv aus ihrer Gebrauchstüchtigkeit ausgebrochen. Dies aber scheint nur so, denn sie ist nach wie vor zum Hinsetzen gedacht. Die Besucher und Besucherinnen müssen sich nur trauen. So behaart, wie sie sich nämlich darstellt – es riecht auch sehr intensiv nach Hanf – verweigert sich die Bank nämlich dem Üblichen, der Norm, dem Normativen. Das verstört vielleicht im ersten Moment (soll es auch), macht aber auch wach: Aha, Moment, was passiert hier eigentlich? Das manierlich geordnet Aufgeräumte des Foyers der Kunsthalle Krems ist gebrochen. Eine Art von Verwilderung hat sich Platz geschaffen, in der natürlich ein gewisses Revoltieren, eine rotzige Aufmüpfigkeit oder auch eine unterschwellige Bedrohlichkeit liegen. Was wäre, wenn das plötzlich alle Bänke täten?