Speech by Ursula Maria Probst for the opening of Marlene Haring's solo show at Künstlerhaus Passage, Vienna, 2009


Marlene Haring: Photoboothautograph

In ihrem Text zur Ausstellung schreibt Marlene Haring: „Der Photoboothautograph wurde 1865 von Felicitas Zopp erfunden. Seine spezielle Technik und die außergewöhnlichen Anwendungsmöglichkeiten waren überwältigend. So wurde noch im selben Jahr ein Patent angemeldet. 1866 war ein Photoboothautograph für kurze Zeit als Attraktion im Wiener Prater zu sehen, bevor die neue Technologie zum Staatsgeheimnis erklärt wurde, und er damit verschwand und in Vergessenheit geriet. Nun wurde der Photoboothautograph mit seinen einzigartigen Applikationen zur Selbstzerstückelung im österreichischen Staatsarchiv wieder entdeckt und auf den neuesten Stand der digitalen Technik gebracht. Von 20. März - 12. April wird der von Marlene Haring getestete Prototyp der Öffentlichkeit vorgestellt.“

Wechseln wir kurz mal das Szenario, wie bereits Michel Foucault schrieb, leben wir im Zeitalter der Gleichzeitigkeiten, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinanders etc. Dies verändert laut Jacques Ranciere auch unser ästhetisches Unbewusstes. Die von Marlene Haring formulierte kuriose Geschichte des Photoboothautograph und dessen Erfindung durch Felicitas Zopp klingt zunächst plausibel, auch, dass dieser als Attraktion im Prater eingesetzt wurde. Parallelen zum Spiegelkabinett in welchem sich durch konkav oder konvex gebogene Spiegel unsere Körper zu komischen, teils befremdenden Gestalten deformieren, existieren. Hat Felictas Zopp nun wirklich gelebt oder ist es eine fiktive Figur? Dass es sich bei der Technik des Photo Booths heute um kein Staatsgeheimnis handelt, sondern im Gegenteil, jeder MacBook Pro User über diese Technik verfügt, legt eine Spur dahin, wie Marlene Haring hier zunächst einen fiktiven Erzählstrang produziert. Ein Spannungsmoment von einer intensiven Imaginationskraft wird erzeugt. Bereits in anderen Performances bedient sich Marlene Haring unterschiedlicher Pseudonyme und einer Verschränkung fiktiver und realer Ebenen, wie beispielsweise in ihrer Performance „Heidi Gehry nimmt ein Schaumbad im Brunnen auf dem Treppenaufgang, der für Schaumolini gebaut wurde. Aber er ist nie gekommen“ (2004). Marlene Haring nahm damals ein Schaumbad in einem Brunnen in Rom, der Fantasieausdruck Schaumolini bezieht sich auf Mussolini. Marlene Haring entwickelt so Gegenerzählungen zum Realen und bezieht vorweg den paradoxen Effekt mit ein, der durch eine narrative, inszenatorische Schließung zwischen Performance, Bild oder Erzählung eintreten könnte.

In ihren Performances, Interaktionen und Installationen arbeitet Marlene Haring häufig mit sozialen Strukturen, deren gewohnten Abläufe sie Veränderungen, Transformationen unterzieht.  Ihre künstlerischen Projekte umfassen Performances im öffentlichen Raum, über eine Küche voller Spaghetti oder eine Soundinstallation im Solarium. Sie bot Dienstleistungen wie Secret Service und Sucking Marks –Knutschflecken– für $10 an. Sie leckte ein Galeriefenster und verwendet Nivea Creme für weiße monochrome Malereien auf Spiegeln. Insofern produziert Marlene Haring relevante Impulse das Rezeptionsverhalten gegenüber Performances zu verändern, und durch Risse im System das Konzept einer Wiederaneignung des Körpers, der sich sonst in eine Aneinanderkettung von medialen Zeichensystemen zu verlieren droht, zu betreiben. Darin befinden sich ihre Performances und Installationen in einer Genealogie zu VALIE EXPORT oder Sanja Ivekovic.

Defacto verknüpft Marlene Haring in ihrer für die k/haus Passagegalerie produzierten Installation „Photoboothautograph“ Medienkunst und Performance als ein interventionistisches, kritisches, künstlerisches Konzept, dass, wie wir sehen zwar witzige Züge trägt, allerdings in seiner Fragmentierung, und Neuzusammensetzung als hybride Körper subtil eine beunruhigende geradezu beklemmende Wirkung auslöst. In ihrer Auseinandersetzung mit der Politik der Körper, der Politik der Gefühle, einer Politik des „Privaten“ - das sich speziell vor Ort in der k/haus Passage mit den Transfers des Öffentlichen konfrontiert, agiert Marlene Haring als Aktivistin, bezieht auch postpornografische Strategien mit ein. In „Photoboothautograph“ tritt die Künstlerin selbst vor die digitale Kamera des Photo Booth. Ein Archiv von mehreren tausenden Images hat sie so mittlerweile angelegt. Die Aufnahmen werden in Sequenzen miteinander verschränkt und konfrontieren gleichzeitig durch die Fragmentierung des eigenen Selbstporträts mit der strukturellen Gewalt, die heute das Verhältnis zwischen Individuum und digitalen Medien mitbestimmt.

In der Installation „Photoboothautograph“ mit 36 Monitoren unterschiedlichster Bildschirmgröße und Screens produziert Marlene Haring gleichzeitig ein Aufeinander-Clashen medialer Abläufe, die durch ihre Stimulationen zeigen, wie komplex, um nicht zu sagen kompliziert es sich heute gestaltet, die Grenzen zwischen authentischem und inszeniertem Leben zu ziehen. Dass sich diese Grenzen eigentlich kaum noch ziehen lassen und dass es gerade diese Zuspitzung in der künstlerischen Arbeit zu verhandeln gilt, ist ein Aspekt der Installation. In vielerlei Hinsicht widersetzt sich diese Video-Performance von Marlene Haring auch der Tatsache, dass das Leben zunehmend einem biogenetischen Optimierungsimperativ unterworfen wird.