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Thursday
26 April 2007
This is a Simulation
Stadtmodelle, Wunschbilder und Spielräume
mit Sabine Bitter & Helmut Weber, Helge Mooshammer,
Sasha Pirker, Axel Stockburger
Die Dynamik der globalen
Verstädterung führt zu riesigen
Agglomerationen und Megacities, die sich
tentakelhaft über ihre regionalen
Umgebungen ausbreiten. Die Planungs-
und Kontrollphantasien der steuernden
Zentralmacht befinden sich nicht nur
in vielen Gebieten der so genannten Dritten
Welt auf dem Rückzug und beschränken
sich mehr und mehr auf die polizeitechnische
Abdichtung von Zonen ökonomischer
Prosperität gegen die ”Verslumung
des Planeten” (Mike Davis). Parallel
zum realen, chaotischen Wildwuchs der
Städte artikuliert sich ihr imaginäres
Bild oft als Playground, als Produkt
einer Simulation dessen, was eine von
den tatsächlichen Wucherungen befreite
Oberfläche des Urbanen in den Augen
von Stadtentwicklung und Kulturindustrie
sein könnte. Eine solche Simulation
urbanen Lebens geht immer mit einem Reduktionismus
dessen einher, was simuliert werden soll.
So entstehen technische, teils spielerische
Visionen des Urbanen, die die Stadt als
touristische Kulisse und nicht als konfliktuöse
Arena vielschichtiger Begegnungen begreifen.
Historisch exemplarisch angelegt sind
Bild und Selbstbild der Stadt als konsumistische
Chimäre in der Planstadt der Entertainment-Industrie
schlechthin, in Las Vegas.
Die Künstlerin und Architektur-Theoretikerin
Sasha Pirker beleuchtete in ihrem Vortrag
sowohl die postmoderne Privilegierung
des Zeichenhaften gegenüber einer
funktionalen Ordnung des Raums wie auch
Aspekte heutiger Wahrnehmung der Reliquien
der kalifornischen Moderne. Anhand eines
von ihr 2007 produzierten Videos über
ein Motel in Palm Springs namens John
Lautner, The Desert Hot Springs Motel dokumentierte
sie, wie abhängig unser Blick auf
ein scheintotes Architektur-Monument
wie das 2000 nach langer Pause wieder
in Betrieb genommene Motel von unterschiedlichen
Narrativen ist. Zunächst sind es
nur beiläufige Ansichten von Details,
die in ihrem das Haus vorstellenden Video
ins Bild kommen; erst die Erinnerungen
des neuen Besitzers, des Schriftstellers
Steven Lowe, kerben Spuren des Lebens
in die stolze, abstrahierte Glätte
der Architektur.
Der Architekt und Theoretiker Helge
Mooshammer radikalisiert dieses Konzept
einer subjektiven Einschreibung in eine
architektonische Form insofern, als er
die Sinngebung eines urbanen Raums als
einen prinzipiell performativen Akt versteht,
in dem neben nicht nur die am konkreten
Ort Vorhandenen, sondern auch medial
angeschlossene Akteure beteiligt sein
können. Stadt ist in diesem Verständnis
ein beständig neu produzierter umstrittener
und medial vermessener Raum. Dieser Raum
ist nicht nur der materielle Knotenpunkt ökonomischer
Interessen, sondern entsteht vielmehr,
wie Mooshammer meint, ”wenn wir
als menschliche Subjekte an urbanen Orten
zusammenkommen, um uns selbst in unserer
eigenen Existenz, unserer Körperlichkeit
und Sexualität zu verhandeln. Diese
Betonung der körperlichen Verwicklung
in der Erfahrung von räumlichen
Bedingungen/Zuständen/Umständen
berührt die dunklen Seiten von Stadt,
das Zwielichtige und das Schmutzige,
das Geheimnisvolle und das Gefährliche.” Mooshammer
demonstrierte diese städtische Verquickung
von körperlicher Erfahrung, Exhibitionismus
und Voyeurismus unter heutigen Medienbedingungen
anhand eines neuartigen, von Großbritannien
aus ausstrahlenden Phänomens aus.
Das so genannte Happy Slapping, also
das willkürliche Zusammenschlagen
von Passanten vor der Mobiltelefon-Kamera,
so Mooshammer, vollende sich erst im
Zuge der medialen Aufzeichnung und Distribuierung.
Geschlagen werde immer schon für
den verbotenen und in diesem Sinn pornographischen
Blick eines Anderen, der physisch daneben
stehen kann oder im Netz später
Zeuge der trotz aller Realness inzenierten
Gewalt-Kicks wird: Auch so kann die Stadt
zum Abenteuerspielplatz werden.
Als solche erscheint sie (oder besser
ihre animierte Simulation) auch in diversen
Video- und Computerspielen, wie Axel
Stockburger ausführte. Der Künstler
und wissenschaftliche Mitarbeiter in
der Abteilung für Kunst und digitale
Medien an der Akademie für Bildende
Kunst in Wien widmete sich in seinem
mit zahlreichen Bildbeispielen unterfütterten
Vortrag den Formen der Reduktion, die
die errechneten urbanen Landscapes auszeichnen.
Stockburger zeichnete eine Entwicklung
von dem nach wie vor ”beschränkten
Realismus” wie in Grand Theft
Auto zu Szenarien wie in dem Tschernobyl-Spiel Stalker,
in denen die urbane Umgebung selbst zum
Gegenstand virtueller Veränderung
durch den Spieler wird und somit möglicherweise
auch unseren Blick auf die Transformierbarkeit
und Flüchtigkeit architektonischer
Erscheinungen fokussiert. Signifikant
erscheint angesichts der Inkorporierung
diverser neoliberaler Paradigmen über ökonomisches
Wachstum und Consumer Culture wie etwa
im mittlerweile todgehypten Freizeitknast Second
Life die weitgehende Aussparung
identitätspolitischer und ökonomischer
Konfliktlinien, die die ”reale” Stadt
segmentieren. Wo sich der Blick auf die
reale Stadt mit dem virtuellen Blick überlagert,
befinden wir uns im Reich der 3D-Animationen,
wie sie etwa im Stadtführer Virtual
Berlin zu erfahren sind. Die wirklichkeitsprägende
Modellhaftigkeit solcher Rundgänge
steht dabei, so Stockburger, in Zusammenhang
mit der Globalisierung eines touristischen
Blicks auf die Welt.
Einen möglicher Gegenentwurf zur
touristischen Vereinheitlichung von Differenz
entwarf das Künstlerpaar Sabine
Bitter und Helmut Weber. Die Nachnutzung
von im modernistischem Fortschrittspathos
entstandener und dann durch die Zeitläufte
zur Ruine degradierter Architektur untersuchten
die Österreicher in ihrer Ausstellung Recent
Geographies − unter anderem
am Beispiel des ex-jugoslawischen Hauptstadtzubaus
Novi-Belgrad. Wie, so die Frage, antwortet
eine Aneignung von unten auf die Versprechungen
von oben? In ihrer ebenfalls vorgestellten
Videoarbeit Living Megastructures dokumentierten
die beiden den ”transformativen
Urbanismus” der Unterschichten
von Caracas. Diese antworten auf ihre
Marginalisierung mit innovativen Formen
der politischen Selbstorganisation. Von
1952 bis 1958 entstand in Caracas eine
aus Wohnblocks verschiedener Größe
bestehende Wohnstruktur. Als ein Volksaufstand
im Jahre 1958 die Diktatur beendete,
wurden 4000 der nie komplett fertig gestellten
9000 Apartments von den Armen in Besitz
genommen. Später gelang es, teils
in Zusammenarbeit mit der Regierung Chavez,
neue Legalitätsformen für diesen
Stadtraum zu entwickeln. Diese Entwicklung
wird über ein Video wie Living
Megastructures nun zur Nachahmung
empfohlen. This is no simulation!
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